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Tinnitus: Behandlung erfordert Geduld

Erfahrungsbericht einer späten Behandlung
Davon nicht betroffene Laien können es kaum nachempfinden, aber für tangierte Patient(inn)en stellt er oft den reinsten Horror dar: Die Rede ist vom Tinnitus aurium, meist der Einfachheit halber sowie im Folgenden als Tinnitus bezeichnet. In seltenen Fällen kann die Belastung als dermaßen erdrückend empfunden werden, dass Betroffene sogar über Selbstmord nachdenken.
Da sich diese Erkenntnis in den vergangenen Jahren zunehmend verbreitet hat, sollte spätestens jetzt klar sein, dass es sich nicht einfach nur um ein eingebildetes „Phantomgeräusch“ handelt, dem keine äußere Lärmquelle zugrunde liegt, sondern um ein die Lebensqualität gravierend einschränkendes Leiden. Die Liste der Ursachen ist lang, wobei Stress häufig eine auslösende, zumindest aber fördernde Wirkung zukommt. Das wird dadurch weiter verschlimmert, dass ein Tinnitus möglichst schnell behandelt werden muss, um geheilt werden zu können. Auf der anderen Seite zählt aber gerade Geduld. Logischerweise insbesondere dann, wenn der Tinnitus schon länger besteht und sich manifestieren konnte: Ein Paradoxon für Patient und Therapeut.

Zuerst auf die leichte Schulter genommen, dann vermeintlich damit arrangiert, nun aber buchstäblich am Ende: Die Leidensgeschichte der Sabine S. (29) ist lang. So setzte ihr Ohrgeräusch bereits vor rund anderthalb Jahren ein. S., Single, damals gerade mit dem Studium fertig und zwecks Einstieg in die Arbeitswelt von Berlin nach Luxemburg gezogen, wachte Montagsmorgen mit einem Pfeifen im rechten Ohr auf. Viele Gedanken machte sie sich darüber zunächst nicht, weil sie am Wochenende ein lautes Heavy Metal-Konzert besucht hatte und es einfach darauf schob. Als das Geräusch nach mehreren Wochen jedoch immer noch nicht verschwunden war und S. nicht zuletzt Abend für Abend stark am Einschlafen hinderte, suchte sie zunächst einen Schulmediziner auf. So lange gewartet habe sie damit, weil sie erst zu diesem Zeitpunkt Urlaub nehmen konnte, um ihren vertrauten Arzt in Berlin aufzusuchen, der sie wiederum an einen HNO-Arzt verwies.


Dieser diagnostizierte einen subjektiven Tinnitus, bei dem sich das Ohrgeräusch nicht akustisch messen lässt und auf fehlgesteuerten Nervenaktivitäten des Gehirns beruht. (Im Gegensatz zum selteneren objektiven Tinnitus, bei dem häufig eine Schallquelle im Innenohr vorliegt, deren akustische Emissionen im Gehörgang messbar sind.) Einen konkreten Hörsturz schloss er indes aus. Die weitere schulmedizinische Therapie sollte nun aus mehreren Elementen wie kognitiver Verhaltenstherapie, unterschiedlichen Formen akustischer, magnetischer und elektrischer Stimulation, Psychotherapie und Infusionen bestehen. Ziel: Nicht das Entfernen des (nicht reellen) Geräuschs, sondern S. in die Lage versetzen, ihr Leiden zu akzeptieren und damit umgehen zu lernen. Dazu wären jedoch mehrere Sitzungen vor Ort nötig gewesen, was S. auf Grund ihres Lebensmittelpunkts Luxemburg zumindest bei diesem Arzt unmöglich war.


Nach Luxemburg zurückgekehrt entschloss sich S. vielmehr, das Ganze in eigener Regie zu versuchen. Schließlich gab es ja gar kein „greifbares Leiden“, was die studierte Naturwissenschaftlerin viel besser hätte akzeptieren und angehen können, sondern nur ihre „Einbildung“ (O-Ton). Zynisch betrachtet beste Voraussetzungen, um aus einem chronischen Tinnitus einen solchen zu machen, der nie wieder weggeht. Denn je länger ein Tinnitus, für den es auch in der Schulmedizin nicht DIE eine wahre und plausible Therapie gibt, vorliegt, desto geringere Therapieerfolge sind zu erwarten. Gleichwohl beste Voraussetzungen, mein Interesse als Heilpraktiker zu wecken, den S. nunmehr rund ein Jahr nach erstmaligem Auftreten des „Geräuschs“ aufsuchte. Wobei ich im Gegensatz zum HNO-Arzt zwei Ziele verfolgte: Zum einen ebenfalls S. dabei zu unterstützen, ihr Leiden zu akzeptieren und annehmen zu können – zum anderen, das nicht messbare Ohrgeräusch vielleicht doch noch ein wenig abschwächen zu können.
Ohne die genaue Ursache zu kennen – ich vermute heute wie damals eine Mischung aus Stress, zu vielen neuen Lebensumständen und als konkreten Auslöser das Heavy Metal-Konzert – entschied ich mich zu einer Therapie, die für meine Verhältnisse sehr viele unterschiedliche Ansatzpunkte berücksichtigte.

Geschuldet auch der Tatsache, dass ich den Tinnitus möglichst schnell angehen wollte – und bei der mir neuen Patientin nicht wusste, auf welche naturheilkundlichen Reize sie am besten reagiert: Die Patienten war „noch nie bei einem Heilpraktiker, wurde noch nie akupunktiert und hatte auch noch nie homöopathische Mittel usw. genommen“, wie sie mir erklärte. Dafür aber habe sie erst kürzlich im Internet gelesen, dass die Erfolgsmöglichkeiten mit Dauer des Tinnitus-Vorhandenseins schwinden. Etwas, das ihr bislang noch nicht so bewusst gewesen sei und zusätzlich unter Druck setzte – weshalb sie mich bat, schnellstmöglich „alle Register zu ziehen“, die aus naturheilkundlicher Sicht in Betracht kamen. Dass es kaum mehr möglich ist, einer mehr als ängstlichen Patientin in einer solchen Situation Geduld zu empfehlen, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Dennoch war sie nötig, sowohl bei S. als auch bei mir. Denn die Behandlungserfolge stellten sich zwar ein, allerdings nur langsam.
Die detaillierte Therapie sah indes folgendermaßen aus:

Spagyrik:

  • Phönix Argentum spag. (von Phönix):
    Wirkstoffe: Argentum nitricum Dil. D5, Cuprum sulfuricum et Sulfur et Tartarus depuratus (1:1:1) spag. Glückselig Ø, Zincum metallicum Dil. D8.
    Dosierung: Zu Beginn der Behandlung in der Regel 4x20 Tropfen täglich. Danach individuell angepasst.

Homöopathie (orale Applikation):

Zur Behandlung von Tinnitus aurium verwendete ich vier homöopathische Medikamente, die ich wie folgt kurz porträtieren möchte:
Einzelhomöopathikum:

  • Aurum metallicum D12 (u.a. von DHU):
    Wirkstoff: Goldpulver D6
    Dosierung im Falle S.: Während der ersten 6 Wochen der Behandlung jeweils 6x6 Globuli täglich, im Anschluss weitere 4 Wochen 3x6 Globuli täglich. Danach bei Bedarf und im akuten Fall bis zu 6x6 Globuli täglich.

Komplexhomöopathika:

  • Acidum nitricum S Phcp (von Phönix):
    Wirkstoffe: Acidum nitricum Dil. D10, Helianthus annuus Dil. D10, Hepatica triloba (HAB 1934) Dil. D10.
    Dosierung im Falle S.: Während der ersten 6 Wochen der Behandlung jeweils 3x5 Globuli täglich, im Anschluss weitere 4 Wochen 1x5 Globuli täglich. Danach bei Bedarf und im akuten Fall bis zu 6x5 Globuli täglich.
  • Aralia S Phcp (von Phönix):
    Wirkstoffe: Aralia racemosa Dil. D10, Atropa bella-donna Dil. D10, Eucalyptus globulus Dil. D10.
    Dosierung im Falle S.: Während der ersten 6 Wochen der Behandlung jeweils 3x5 Globuli täglich, im Anschluss weitere 4 Wochen 1x5 Globuli täglich. Danach bei Bedarf und im akuten Fall bis zu 6x5 Globuli täglich.
  • Gelsemium Phcp (von Phönix):
    Wirkstoffe: Citrullus colocynthis (HAB 1934) Dil. D10, Gelsemium sempervirens Dil. D10, Kalium bichromicum Dil. D10, Pulsatilla pratensis Dil. D10.
    Dosierung im Falle S.: Während der ersten 4 Wochen der Behandlung jeweils 2x5 Globuli täglich, im Anschluss weitere 4 Wochen 1x5 Globuli täglich. Danach bei Bedarf und im akuten Fall bis zu 6x5 Globuli täglich.
    Mögliche Nebenwirkungen: Sehr selten können Hautreaktionen auftreten. In einem solchen Fall sollte das Mittel abgesetzt werden.
    Bei den drei letztgenannten Präparaten handelt es sich um registrierte homöopathische Arzneimittel ohne Angabe von Anwendungsgebieten, die des Weiteren u.a. Saccharose enthalten.
    Daneben empfahl ich S. dringend, ein Entspannungsverfahren wie Autogenes Training, Qi Gong, Progressive Muskelentspannung, Biofeedback, Yoga o.Ä. zu erlernen und regelmäßig zu praktizieren, was grundsätzlich immer Sinn macht, nicht nur im Verlauf einer akuten Therapie.

Sonstiges:

Während der ersten 6 Wochen der Therapie fanden außerdem wöchentlich 2 Sitzungen in meiner Praxis statt, an denen folgende Maßnahmen durchgeführt wurden:
Injektionen:

  • Juv 110 Injektionslösung (registriertes homöopathisches Arzneimittel von Phönix):
    Wirkstoffe: Acer negundo, Fraxinus Americana, Gallae turcicae, Haematoxylum campechianum, Lycopodium clavatum, Marsdenia cundurango, Prunus padus e cortice, Raphanus sativus, Scrophularia nodosa, Thuja occidentalis, Ulmus und Viscum Album (jeweils Dil. D10).
    Dosierung: jeweils 1 Ampulle s.c. pro Sitzung am rechten Mastoid (Synonyme: Pars mastoidea, Warzenfortsatz – ein Teil des Schläfenbeins, siehe Foto)
  • Ginkgo-loges (von Dr. Loges):
    Wirkstoff: Ginkgo biloba e foliis sicc. D4
    Dosierung im Falle S.: jeweils 1 Ampulle i.m. pro Sitzung
    Mögliche Nebenwirkungen: Sehr selten können Hautreaktionen auftreten. In einem solchen Fall sollte das Mittel abgesetzt werden.
  • B12-Steigerwald (von Steigerwald/Bayer):
    Wirkstoff: Cyanocobalamin
    Dosierung im Falle S.: jeweils 1 Ampulle i.m. pro Sitzung
    Vier weitere Wochen fand außerdem wöchentlich noch 1 Sitzung mit gleicher Medikamention statt.

Ohrkerzen (u.a. von BeeHannah“ oder „Aura Vital“):
Neben den Injektionen fanden außerdem Ohrkerzen-Behandlung am rechten Ohr statt: Eine Wärme- und Druckausgleichstherapie für den äußeren Gehörgang, den lymphatischen Rachenring sowie Teile des retikuloendothelialen Systems, die außerdem entspannend und beruhigend auf Herz, Atmung und Bauchorgane wirkt.
Der Behandlungsraum muss dabei frei von Zugluft, der Nacken- und Schulterbereich des Patienten mit einem Tuch abgedeckt sein. Damit die Ohrkerze gegen Ende der Sitzung sicher gelöscht werden kann, sollte außerdem ein Gefäß mit Wasser bereitstehen.
Kontraindikationen: Perforiertes Trommelfell, eitrige oder entzündliche Prozesse sowie Pilzinfektionen im äußeren Gehörgang.
Fazit: Erste Therapieerfolge stellten sich nach rund drei Wochen ein: Die Patientin berichtete darüber, dass das Geräusch zwar nach wie vor und kontinuierlich da sei, es sich aber irgendwie „leiser anhöre“. Mindestens genauso wichtig war aber, dass S. (dadurch?) wieder zu besserem Schlaf fand und sich besser konzentrieren konnte. Das wiederum führte dazu, dass sich die Situation am Arbeitsplatz entspannte, da S. weniger Fehler machte und nicht mehr so gereizt wirkte. Diese Entwicklung zog sich weitere drei Wochen hin, sodass S. „den Nerv hatte“, ihrerseits wieder mit dem Yoga anzufangen, das sie früher schon hin und wieder gemacht hatte.
Nach acht Wochen berichtete S., es gehe ihr wieder „richtig gut“. Manchmal vergesse sie das Geräusch komplett für mehrere Stunden und wisse anschließend gar nicht mehr, ob es „überhaupt noch da gewesen“ sei. Die letzten beiden Wochen der Therapie brachten indes keine weiteren Fortschritte, weshalb S. die Therapie nach Rücksprache mit mir beendete.
Das Beste jedoch ist, dass ich S. einige Wochen später durch Zufall beim Einkaufen traf, sie mir erleichtert um den Hals fiel und freudig erzählte, schon seit zwei Wochen überhaupt kein Pfeifen mehr gehört zu haben. Letztendlich ein größerer Therapieerfolg, als ich ihn selbst für möglich gehalten hätte. Welche Maßnahme daran den größten Anteil hatte, vermag ich nicht zu beurteilen. Etwas, womit jeder Naturheilkundler jedoch umzugehen lernen muss und womit ich letztendlich auch gut leben kann. Obwohl ich wie bereits erwähnt ansonsten lieber mit weniger Therapiebausteinen arbeite, um anschließend besser einschätzen zu können, was letztendlich maßgeblich für den Erfolg (bzw. Misserfolg) einer Therapie war.


 

Autor:

Johannes W. Steinbach ist Heilpraktiker, Medizinjournalist, Fachbuchautor und Lebensmitteltechniker (staatl. gepr.) Herausgeber von heilpraktiker-lernskripte.de (www.heilpraktiker-lernskripte.de).

Kontakt:

Naturheilpraxis Steinbach
Schillerstr. 18, 54329 Konz

Literatur

  • Leitfaden Naturheilkunde (4. Auflage), Urban & Fischer

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