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Astrologie in der psychologischen Beratung?

ABGRENZUNGEN

Zu Zeiten des Booms diverser Astro-TVFormate sowie der Existenz unzähliger Astro- Service-Hotlines ist eine unmissverständliche Distanzierung unerlässlich: Dort werden Menschen für dumm verkauft, geängstigt, abhängig gemacht, belogen und finanziell ausgenommen. Wer sich ein Bild von der Dreistigkeit der dort tätigen Berater machen möchte, aber verständlicherweise keine Zeit beim Ansehen solcher Sendungen verschwenden will, kann sich bei youtube.de unter dem Stichwort Astrologie etliche Clips von "Beratungsgesprächen" zu Gemüte führen. Über Ausmaß und Ausbreitung dieses Express-Hilfe-Unwesens sind mittlerweile ausreichend Informationen zugänglich (siehe u. a. Freie Psychotherapie 03/2007, Wolfgang Görl, Im Banne des Orakels, und "Die Astro- Abzocke" ARD-Report vom 17.07.2006 auf youtube.de, an dieser Stelle soll nicht weiter darauf eingegangen werden.

Die Vulgär- und Zeitungsastrologie kapriziert sich dagegen munter auf Heilungs- und Glücksversprechen und lebt prächtig davon. Abhängig vom Sternzeichen werden bestimmte Heilsteine, Glückszahlen, Glückstage, Heil- und Kraftorte, Heilfarben, Heildüfte, Heilgesänge, Heilmantras und dergleichen empfohlen – und in nicht wenigen HP-Praxen wird bei solchem Unfug mitgehalten – so als sei Heilung und Glück durch den Erwerb und die Verwendung bestimmter Accessoirs anzulocken.

Seriöse Astrologie hält sich mit Glücks- und Heilungsversprechen außerordentlich zurück. Sie beschränkt sich darauf, den Einzelnen ihre ureigensten Anlagen, Ressourcen und Talente präzise zu erklären und die Beziehung zwischen ihnen selbst und dem, was man gemeinhin Schicksal nennt, ohne moralische Wertung zu erläutern (s. Wolfgang Döbereiner, Schul- und Seminarauszüge Band 1, S. 12 f., München 1999). Dazu später mehr.

Distanzieren muss sich seriöse Astrologie auch von denjenigen heilberuflich Tätigen, die sich astrologische Grundbegriffe angeeignet haben und sie dann für moralisierende, bewertende oder auch esoterisch-besserwisserische Sentenzen über ihre Klienten verzwecken. Ich nenne das Astro-Gequatsche. KundInnen von mir bekamen von ihren Behandlern beispielsweise folgenden Unsinn mitgeteilt:

"Bei ihrer Wassermann-Betonung ist eine innige Liebesbeziehung sowieso auch gar nicht möglich." "Der Pluto in Ihrem vierten Haus ist so stark, da müssen Sie aber aufpassen, dass Sie keinen Brustkrebs bekommen." "Ihre Wirbelsäulenschmerzen kommen vom Saturn, kein Wunder, wenn Sie sich immer für alles verantwortlich fühlen."

Neben Sachkompetenz mangelt es den hier Zitierten an einer Haltung, die unabdingbare Grundlage für Horoskopdeutungen ist: Respekt und Wertschätzung für die individuellen Lebenswege der Horoskopeigner. Eine Deutung des Horoskops entbirgt die Fähigkeiten und Bedürfnisse eines Menschen - genauso deutlich aber auch die Art und Weise, wie er oder sie die Welt erfahren und wahrnehmen kann.

DESILLUSIONIERUNGEN

Es gibt leider keine Abkürzungen auf dem Weg zur Astrologie. Mini-Ausbildungen, Crash-Kurse, Kompaktwissen und dergleichen funktionieren nicht. Natürlich kann man schnell und komprimiert sich einige Grundlagen und Techniken aneignen, aber die Komplexität eines Horoskops wird dadurch nicht erfassbar sein. Jeder, der Astrologie treiben will, muss sich selbst ernsthaft auf den Weg und somit seine eigenen Erfahrungen machen. Eine astrologische Ausbildung für Heilpraktiker, Ärzte und Psychotherapeuten sollte daher eher intensiver und tiefgehender sein als üblich und keinesfalls reduziert. Trotzdem ist es durchaus möglich, dass jemand auch schon nach dem ersten astrologischen Wochenendseminar etwas Wichtiges aus einem Geburtshoroskop erfassen, begreifen und jemand anderem hilfreich erläutern kann, er muss sich nur der Begrenztheit seiner Erkenntnis bewusst sein.

Oft höre ich die Bitte von befreundeten Behandlern, "nur mal eben kurz in ein Horoskop hineinzuschauen" – wegen einer Depression, einer gescheiterten Beziehung, eines möglichen sexuellen Missbrauchs, eines Bandscheibenvorfalls, eines allergischen Schubs. Keine große Deutung vornehmen, nur eben kurz nach dem Symptom/Phänomen gucken. Die Astrologie soll quasi unverbindlich in Dienst genommen werden für einen Ex- und Hop-Behandlungsversuch, wie er der symptomfixierten Schulmedizin zu recht als Unzulänglichkeit vorgehalten würde.

Es ist jedoch nicht möglich, "nur kurz in ein Horoskop hineinzuschauen" und dadurch konstruktive Aussagen zu einem Gesundungsprozess zu treffen. Wer glaubt, sich der Mühe eines umfänglichen hermeneutischen Deutungsprozesses entziehen zu können und sich auf die Betrachtung eines einzelnen Faktors beschränkt, erhält nicht einmal eine simplifizierende Aussage, sondern lediglich eine subjektive Meinung.

PLÄDOYER FÜR ASTROLOGISCHES DEUTEN ALS SCHLÜSSEL ZUR TÜR DER SALUTOGENESE

Welche Argumente könnten denn nach den vorangestellten Warnungen einen Heilpraktiker Psychotherapie/ Psychologischen Berater veranlassen, selbst Astrologie zu lernen oder seinen Klienten eine astrologische Sitzung zu empfehlen?

Die von Dr. Urboneit in seinem Beitrag Navigation dargelegten Grundannahmen des Konzepts der Salutogenese werden sicherlich von den meisten seriösen Astrologen geteilt: Krankheit ist nicht Unnatur; das Leben in dieser Welt macht Fehler, d. h. Fehlendes zwingend notwendig; Krankheitssymptome und äußere Ereignisse machen uns auf das Fehlende – unsere unerfüllten Bedürfnisse, Träume, nicht geheilten Verletzungen usw. – aufmerksam. Es bedarf der Besinnung auf unsere ureigensten Ressourcen, im Fluss des Lebens freudig mitzuschwimmen und destruktive Symptome zu vermeiden und zu heilen.

Um im Bild der Navigation zu bleiben möchte ich sagen: Eine seriöse Horoskopdeutung gibt uns eine – altmodische, aber zuverlässige – Landkarte durch die Lebens- und Seelenlandschaft eines Menschen an die Hand. Ich behaupte, es gibt kein anderes derartig präzises Verfahren, das Persönlichkeitsgefüge einer Person in ihrer Zeit zu verstehen. Die Bezeichnung "Verfahren" ist allerdings irreführend, sicherlich ist Astrologie ebenso eine Kunst!

Ich verwende ganz bewusst den Begriff Deutung, weil es darauf ankommt, den feinen Schichtungen, Verwebungen, Mustern, Strukturen eines Geburtshoroskops Erkenntnisse über die ureigensten Bestimmungen, Handlungsmöglichkeiten und Empfindungswelten des Individuums abzuringen, die Welt quasi aus seinen/ihren Augen zu sehen. Das ist etwas ganz anderes als eine Interpretation, die ja letztlich wieder auf die Verfasstheit des Interpretierenden verweist, auf seine Meinungen und Überzeugungen. Seriöse Horoskopdeutung macht Verurteilung, Schuldzuweisung und Entrüstung unmöglich.

Die Astrologie ist in der Lage, die Einzelnen jenseits ideologischer und moralischer Vorstellungen in ihrer notwendigen persönlichen Eigenart wahrzunehmen. Oft ist eine astrologische Sitzung das erste Mal im Leben eines Menschen, dass er sich vollständig respektiert, gewürdigt und unterstützt fühlt. Dass er nicht beurteilt, mit bewertenden Kommentaren verunsichert oder zu irgendetwas gedrängt wird. Allein dieses Empfinden setzt Stärke und (Selbst)-Vertrauen frei. Der Schriftsteller Ernst Jünger schrieb schon 1959: "Würde die Astrologie nur dazu dienen, den Blick für die notwendige Eigenart des Menschen zu schärfen, so wäre das viel in einer Zeit, die diese Eigenart verwischt, vertuscht, verbilligt wie keine andere" (Ernst Jünger, An der Zeitmauer, Reutlingen 1998, S. 29).

Die genaue und mit der Zeit immer tiefer gehende Kenntnis der 12 astrologischen Prinzipien und ihrer Ausdrucksweise auf Häuser-, Planeten- und Zeichenebene eines Horoskops ermöglicht dem/der Deutenden aber noch mehr. Die Symptome, mit denen eine Person zu tun hat, lassen sich in diese Prinzipien bzw. Verbindungen von Prinzipien hineinordnen und genau diese Ordnung verrät wieder etwas über die Lösungsmöglichkeiten, die dieser Person zur Verfügung stehen, auch über Therapieformen und Heilmittel, die für ihre Situation geeignet sein können. Eine Landkarte eben. Wer einmal die Schönheit der Ordnung und Logik des Tierkreises erfahren hat, das Staunen darüber, wie deutlich die astrologischen Begriffe die Welt aufschließen, kann sicherlich nicht mehr davon lassen.

Allerdings: Eine Landkarte ist nicht die Straße! Schlammlöcher, Steinschläge, Sperrungen und dergleichen sind nicht auf ihr verzeichnet, der Weg kann völlig anders aussehen als vermutet, er entfaltet sich immer nur im Erleben, nicht im Denken und Betrachten.

Noch zu Zeiten der Reformation war es auch hierzulande die Regel, dass jemand, der Arzt oder Heiler war, auch astrologische Kenntnisse besitzen musste. Die Schriften des wohl berühmtesten deutschsprachigen Astrologen und Heilers, Phillipus Aureolus Theophrast Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus, bieten für Interessierte übrigens noch ein weites Studienfeld. Wer nicht so weit zurückgehen möchte, findet im Schnittfeld von Psychologie und Astrologie bei Fritz Riemann, Liz Greene, C. G.Jung, Oskar Adler oder Hermann Meyer – um nur einige zu nennen – ausreichend Studienmaterial. Wer sich wirklich tief in die Astrologie hineinbegeben möchte, sollte aber die Werke von Döbereiner und Roscher nicht außen vor lassen.

Da Astrologie auch die Lehre von den kosmischen und menschlichen Rhythmen beinhaltet, gibt sie dem Kundigen auch Mittel an die Hand (Transite, Auslösungen, Direktionen) Zeitabläufe zu beschreiben. Anhand eines Horoskops lassen sich Aussagen über die Dauer von Krankheits-Prozessen und -Verläufen sowie die Anwesenheit und Dringlichkeit bestimmter Lebensthemen treffen. Man kann einem Klienten sagen, wann etwas vorbei ist, und allein das kann bisweilen ungeheuer entlasten und neuen Schwung geben. Umgekehrt wird aber auch klar, wann es unsinnig ist, aktiv und äußerlich etwas zu unternehmen, es vielmehr darauf ankommt, die Führung der Seele durch eine Krankheit hindurch zu akzeptieren und einfach nur wahrzunehmen.

Allerdings: Jeder ist frei, seine Symptome, oder seinen gewalttätigen Partner oder seine schlimme Wohnung oder was auch immer so lange zu behalten, wie er es für "richtig hält" bzw. nicht anders kann – Fehler dürfen gemacht werden, jeder braucht seine eigene Zeit! Der Astrologe Wolfgang Döbereiner spitzt das folgendermaßen zu:

"Es gehört zur Würde eines Menschen, frei von Wertung die Freiheit zu haben, sein Verderben zu wählen – worauf auch immer sich das Verderben bezieht. Jeder sollte die Chance haben, Fehler zu machen und keiner sollte dem anderen durch Wertung die Lust und die Freude am Fehler nehmen. Dem Astrologen steht es überhaupt nicht zu, moralisch zu sein. Und jeder Astrologe sollte sich freuen über jeden der Fehler macht, weil das wenigstens jemand ist – der lebt. Und der nicht, wie die Esoteriker, das Gute in sich kalkuliert" (Wolfgang Döbereiner, Schul- und Seminarauszüge, aAo., S. 12).

Wessen Interesse geweckt worden ist, möge sich selbst einmal eine Sitzung oder eine Unterrichtsstunde bei einem/einer Astrologen/in gönnen!

Einige Literaturempfehlungen:
Wolfgang Döbereiner, Der Wandel des Lebens im Tierkreis. Überarbeitung der Heyne- Tierkreisbücher als Gesamtausgabe
Wolfgang Döbereiner, Lehrbücher Band 1–6 und überhaupt die gesammelten Werke
Fritz Riemann, Astrologie als Lebenshilfe
Hermann Meyer, Das Grundlagenwerk der psychologischen Astrologie
Michael Roscher, Das Buch der Häuserherrscher
Michael Roscher, Der Mond
Banzhaf/Haebler, Schlüsselworte zur Astrologie
Liz Greene, Saturn
Liz Greene, Dimensionen des Unbewussten

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