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Ist Pulsatilla wirklich nur ein "Frauenmittel"?

Ist Pulsatilla wirklich nur ein "Frauenmittel"?

Keineswegs, in dieser unscheinbaren Pflanze steckt ein wahres Wunderwerk an Vielseitigkeit homöopathischer Heilkraft. Die Pulsatilla (auch Küchen- bzw. Kuhschelle genannt) gehört zur Familie der Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae).

RihannaDiese Familie umfasst ca. 62 Gattungen und ist in 5 Unterfamilien unterteilt. In der Botanik werden Unterfamilien noch in sog. Trieben aufgeteilt. Die Pulsatilla finden wir im Tribus Anemoneae der Unterfamilie Ranunculoideae, weshalb sie fälschlicher Weise manchmal auch als Anemone bezeichnet wird.

Von den 40 Arten der Gattung Pulsatilla sind ca. 10 auch in Deutschland heimisch. Die bekannteste dürfte wohl die Pulsatillavulgaris (gewöhnliche Küchenschelle, gemeine Kuhschelle) sein. Diese finden wir oft in unseren heimischen Gärten wieder, da sie trotz ihrer Unscheinbarkeit eine dankbare und attraktive Pflanze ist.

Nach den Wintermonaten zeigt sich die Pulsatilla als zuverlässiger Frühlingsbote. Bereits im April erfreut sie uns mit ihrer bläulich violetten Blüte.

Zur Herstellung homöopathischer Arzneimittel verwendet man allerdings meist eine andere Art, nämlich die Pulsatillapratensis (Wiesenkuh- oder Wiesenküchenschelle), die ihren natürlichen Lebensraum auf Kalkmagerwiesen und der Steppenheideflora hat.

Wie alle Vertreter der Hahnenfußgewächse gilt auch die Pulsatilla als toxisch. In allen Teilen der Pflanze ist das giftige Protoanemonin enthalten.

Die Weiterverarbeitung zur homöopathischen Arznei ist klassisch. Die Pulsatillapratensis wird während ihrer Blütezeit geerntet. Die zerhackte ganze Pflanze lässt man 8 Tage in 70- 75%igem Alkoholwasser kalt ziehen. Der anschließend ausgepresste Saft ergibt dann die Urtinktur. Verwendung finden nur frische Pflanzen, ältere oder getrocknete Pflanzen verlieren ihre Wirksamkeit.
Pulsatilla gilt als vornehmliches Frauenmittel. Teilweise ist in der Literatur sogar von der Pulsatilla-Patientin die Rede. Dies hat verschiedene Ursachen.

Zum einem gilt Pulsatilla in der Frauenheilkunde als wichtiges homöopathisches Mittel. Unter den Leitsymptomen findet sich fast die gesamte Palette der Menstruations- und Schwangerschaftsbeschwerden. Zum anderen finden wir auch unter den Gemütssymptomen einige, die als typisch weiblich gelten, die aber durchaus auch bei männlichen Patienten vorkommen.

Pulsatilla-Patienten können Symptome zeigen, die bei der Wahl des richtigen Mittels sehr wertvoll sind. Nach Maßstäben der traditionellen Homöopathie sind dies die auffallenden, sonderlichen, ungewöhnlichen und charakteristischen Zeichen und Symptome (Vergleich; Organon der Heilkunst, §153 von Samuel Hahnemann):

 

SONDERLICHES DURSTVERHALTEN:

Pulsatilla ist gerade dann auffällig durstlos, wenn man grundsätzlich Durst erwarten würde, z.B. bei Fieber, nach Anstrengung und bei trockenem Maul. Rechnen wir nicht mit Durst des Patienten, kann uns Pulsatilla wieder überraschen und genau dann nach etwas zum Trinken verlangen. Obwohl Pulsatilla generell als durstlos gilt, sollten wir sie dann nicht als Mittel verwerfen,  wenn die übrigen Symptome gut passen.

 

WIDERSPRÜCHLICHE ZUSTÄNDE:

Pulsatilla wird oft als „Wetterhahn“ unter den homöopathischen Mitteln bezeichnet. Dies charakterisiert nicht nur die schnell wechselnde Gemütslage des Pulsatilla-Patienten, sondern beschreibt auch die körperliche Ebene sehr gut. In den Arzneimittelbildern finden wir zwar eher keine Alternanzen, aber die schnelle unerwartete Änderung im Krankheitsverlauf ist ein durchaus typisches Symptom. Urplötzlich wechselt Pulsatilla von einem Krankheitsbild ins nächste. Dies erscheint oft zusammenhangslos oder sogar widersprüchlich und kann beim Therapeuten leicht für Verwirrung sorgen.
AUSSCHEIDUNGEN UND ABSONDERUNGEN:
Ebenfalls fast schon sprichwörtlich ist der Kot der Pulsatilla. Man sagt ihr nach, kein Stuhl ist wie der andere. Farbe, Menge, Geruch sowie Konsistenz wechseln von mal zu mal. In einigen Arzneimittelbildern ist von einem scharfen, wundmachenden, stinkenden Kot die Rede. Kann sicherlich vorkommen, ist aber keinesfalls ein typisches Pulsatilla-Symptom. Bei Pulsatilla sind sämtliche Absonderungen, Ausscheidungen  und Gerüche grundsätzlich milde und dezent.

 

MODALITÄTEN:

Hier sticht die Besserung bei Bewegung an frischer Luft heraus. Aber auch dabei ist Pulsatilla sehr speziell. Bewegung ja, aber langsam und ja nicht anstrengend. Frische Luft ja, aber es darf nicht zu kalt und nicht zu warm sein. Eine leichte Brise bessert die Beschwerden von Pulsatilla, es darf nicht zu windig sein. Pulsatilla friert leicht, trotzdem verschlechtert Wärme und Sonne. Zusammenfassend sticht auch bei den Modalitäten  die Widersprüchlichkeit und Wechselhaftigkeit ins Auge
Diese Symptome dürfen sicher als auffallend, sonderlich, ungewöhnlich und charakteristisch bezeichnen werden. Sie zählen zu den ganzheitlichen, also den ganzen Patienten betreffende Symptome.  Viele Homöopathen setzen bei der Wertigkeit der Symptome jedoch die Ursache einer Krankheit oder eines Leidens an erste Stelle, getreu dem Leitsatz „Die Causa ist heilig“.

Krankheiten und Beschwerden mit folgender Causa würden mitunter für Pulsatilla bei der Mittelwahl sprechen:

•    FOLGE VON KALT- UND NASSWERDEN, NASSE FÜßE, NÄSSE ALLGEMEIN
•    FOLGE VON HARTER ARBEIT UND ÜBERANSTRENGUNG
•    BEI WEIBLICHEN TIEREN FOLGE VON SEHNSUCHT NACH TRÄCHTIGKEIT UND NACHWUCHS
•    FOLGE DES GEFÜHLS VERLASSEN WORDEN ZU SEIN ODER NICHT GENÜGEND AUFMERKSAMKEIT ZU ERHALTEN
•    FOLGE VON EIFERSUCHT, FUTTERNEID ODER NEID AUF DEN NACHWUCHS ANDERER MUTTERTIERE
•    FOLGE VOM VERZEHR GEFRORENEN FUTTERS ODER DER AUFNAHME UNGEWOHNT KALTEN WASSERS
•    FOLGE VON JEGLICHER FORM DES ÜBERFRESSENS
•    FOLGE VON FUTTER, WELCHES ZU NÄHRSTOFFREICH ODER ZU EIWEIßHALTIG IST, BEI FLEISCHFRESSERN AUCH FOLGE VON ZU FETTEM FUTTER

An zweiter Stelle stehen für viele Therapeuten die Gemütssymptome. Doch hier scheiden sich die Geister. Während die einen die Gemütssymptome in ihrer Gewichtung gleich nach der Causa setzen, lehnen andere diese bei der Tierhomöopathie generell ab.
Bei der ablehnenden Fraktion hört man häufig die Aussage: „Tiere haben kein Gemüt, deshalb dürfen keine Gemütssymptome eingesetzt werden. In manchen Repertorien, die ausschließlich für die Tierheilkunde geschaffen wurden, finden sich auch keinerlei Gemütssymptome.

Diese Haltung ist sicherlich zu pauschal. Jeder, der sich mit Pferden, Hunden oder Katzen beschäftigt, wird überzeugt sein, dass Tiere sehr wohl ein Gemüt haben.

Die Schwierigkeit, Gemütssymptome in der Tierhomöopathie richtig einzusetzen, ist sicherlich eine andere. Hierbei herrscht nämlich die große Gefahr, dass wir unsere Vierbeiner vermenschlichen.

Arbeitsmittel der Homöopathen, wie Arzneimittelbilder und Repertorien, basieren alle auf Ergebnissen von Arzneimittelprüfungen,  die mit menschlichen Probanden durchgeführt wurden. Diese können ihre Gemütszustände sehr gut durch ihre Sprache beschreiben. Tiere haben diese Möglichkeit nicht und wir sind auf die Beobachtungsgabe des Tierhalters bzw. des Therapeuten stark angewiesen. Die Interpretation dieser Beobachtungen erfordert ein hohes Maß an Erfahrung und Kenntnis in der Tierpsyche.

Ein (etwas überzogenes) Beispiel: Eine Katze „erbeutet“ eine Scheibe Wurst vom Frühstückstisch. Aus Sicht der Katze eine vielleicht völlig normale Methode der Nahrungsbeschaffung. Der Tierhalter berichtet dem Therapeuten, dass seine Katze Wurst vom Frühstückstisch klaut. Das passende Symptom wäre hier also „Kleptomanie“? Nein, hier von Kleptomanie zu sprechen wäre absolut unsinnig und dieses „Symptom“ würde die Trefferquote bei der Wahl des richtigen Mittels stark vermindern.

Doch zurück zu unserem Mittel, der Pulsatilla. Diese verfügt über eine ganze Menge Gemütssymptome, die sich relativ gut in ein tierisches Verhaltensmuster übersetzen lassen.

 

GEMÜTSSYMPTOME

•    TRAURIG, WEINT LEICHT
•    FURCHTSAM, V.A. AM ABEND UND NACHTS
•    DIPLOMATISCH, SETZT SICH MIT DIPLOMATIE DURCH
•    BRAUCHT LANGE, UM JEMANDEN ZU VERTRAUEN, ABER WENN SIE JEMANDEN VERTRAUT, LÄSST SIE NICHT MEHR LOS, FORDERT VIEL AUFMERKSAMKEIT UND ZUWENDUNG, LEIDET SEHR, WENN SIE DIE NICHT BEKOMMT
•    SEHR SENSIBEL
•    KÜMMERT SICH GERNE UM ANDERE
•    FÜRCHTET EINSAMKEIT, VERLASSEN ZU WERDEN, TRENNUNGEN
•    SEHR EMOTIONAL, STARKE EMOTIONALE SCHWANKUNGEN
•    KRANKHAFTE FURCHT VOR DEM ANDEREN GESCHLECHT
•    ALLES WIRD BESSER DURCH MITGEFÜHL
•    SEHR AUSGEPRÄGTE MUTTERGEFÜHLE
•    BRAUCHT VIEL ZEIT, BIS SIE SICH BERÜHREN LÄSST
•    LERNT SCHNELL, AM BESTEN DURCH ÜBERZEUGUNG UND LIEBE, DRUCK BRINGT NICHTS
•    BRAUCHT SEHR LANGE, BIS SIE FREUNDSCHAFTEN UND PARTNERSCHAFTEN EINGEHT, DANN ABER SEHR INTENSIVE BINDUNG ZU PARTNER ODER BESITZER
•    AUSGEPRÄGTER SEXUALTRIEB
•    WILL ES IMMER ALLEN RECHT MACHEN

Aufgrund des mangelnden Durchsetzungsvermögens der Pulsatilla findet man sie innerhalb eines Rudel- oder Herdenverbands selten in den ranghöchsten Positionen. Dies ist jedoch nicht ausgeschlossen. Pulsatilla kämpft nicht um Rang und Leitfunktion. Wenn es aber sein muss, übernimmt sie diese durchaus. Aufgrund ihrer Diplomatie und einem ausgeprägtem Schlichtungsvermögen gibt sie dann auch einen sehr guten Chef innerhalb der Herde oder des Rudels ab.
Pulsatilla
Wie bei allen großen Mitteln der Homöopathie sprechen wir auch bei Pulsatilla von einem sog. Konstitutionsmittel. Um sie als solches wirkungsvoll einzusetzen, wollen wir zunächst klären, wozu ein Konstitutionsmittel gut sein soll.

•    KONSTITUTIONSMITTEL SOLLEN DEN PATIENTEN STÄRKEN, SEINE SCHWÄCHEN AUSGLEICHEN, IHN STABILISIEREN UND NORMALISIEREN
•    DAS WESEN EINES KONSTITUTIONSMITTELS ENTSPRICHT IN SEINER GESAMTHEIT DEM WESEN DES PATIENTEN
•    JEDES HOMÖOPATHISCHE MITTEL KANN AUCH EIN KONSTITUTIONSMITTEL SEIN. IN DER REGEL SIND ES ABER DIE GROßEN MITTEL
•    KONSTITUTIONSMITTEL WERDEN OFT VORBEUGEND GEGEBEN, MEIST IN C200; PULSATILLA BILDET AUCH HIER DIE AUSNAHME, SIE ZEIGT IN D30 DIE GRÖßTEN ERFOLGE BEI EINER KONSTITUTIONELLEN BEHANDLUNG

Woran sieht man nun, ob ein Tier vom Konstitutionstyp eine Pulsatilla ist? Zunächst erkennt man das schon daran, inwiefern die Gemütssymptome zutreffen. Aber auch die äußerliche Erscheinung gibt uns schon häufig gute Hinweise auf einen Konstitutionstyp. Pulsatilla erkennen wir an:

•    STETS FREUNDLICHE UND NETTE ERSCHEINUNG (IST DIE/DER SÜß…)
•    ERSCHEINT ANFANGS SCHÜCHTERN, SPÄTER JEDOCH AUFDRINGLICH
•    SIEHT GUT AUS, HARMONISCHER KÖRPERBAU, EITEL
•    BEIM MENSCHEN OFT GEKRÜMMTER RÜCKEN, BEIM TIER (Z.B. PFERD) ÜBERBAUTE HINTERHAND
•    OFT HELLE HAUT, HELLE HAARE/FELL UND HELLE AUGENFARBE
•    KLASSISCHER DACKELBLICK

Jedes homöopathische Arzneimittel hat eine Art Philosophie. Manche Therapeuten sprechen auch vom Geist oder der Seele eines Mittels. Um sich nach der Repertorisation für das letztlich passende Mittel zu entscheiden, ist es wichtig, die Seele eines Mittels zu kennen und in die Entscheidung mit einfließen zu lassen. Genau diesen Geist der Pulsatilla möchte Ihnen dieser Artikel etwas näher bringen.

 

 


Harald Letsch

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