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Die Heilkraft der Sprache nutzen – Poesietherapie

Schon die alten Griechen nutzten die Heilwirkung der Sprache. So formulierte z.B. Asklepios von Thessalien 300 v. Chr. folgenden Grundsatz für seine therapeutischen Maßnahmen: „Zuerst das Wort, dann die Pflanze, zuletzt das Messer.“

Seit jeher haben Menschen versucht, Krisen, Kränkungen und Krankheiten in Texten zu verarbeiten. Segensformeln, Flüche, Zaubersprüche, Wahrsagungen, Beschwörungen etc. – all das sind Vorläufer der Poesietherapie. Auch die großen Dichter und Denker wie Cicero, Rimbaud, Kafka, Nietzsche, Thoreau und Goethe nutzten die Kraft der Poesie, um zu trösten, zu verarbeiten und (sich selbst und anderen) Kraft zu spenden. Die moderne Poesietherapie hat ihre Wurzeln um 1909. Der russische Mediziner, Psychologe und Philosoph Vladimir Lejine schrieb Theaterstücke für seine Patienten, die sich an deren Konflikten orientierten. Er ermutigte die Patienten dazu, ihre Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Ängste in Texten auszudrücken und ihre Träume schriftlich festzuhalten. Die Poesietherapie gehört zu den kreativ-therapeutischen Maßnahmen. Bis heute wird sie vor allem in den USA als eigenständige Therapie anerkannt und in vielen Krankenhäusern ergänzend praktiziert, während sie im europäischen Raum noch in den Kinderschuhen steckt.

Das Papier bietet einen Schutzraum für die geheimsten Gedanken
Der Schreibprozess forciert den Dialog zwischen Körper, Geist und Seele. Durch den Aspekt der Selbsterforschung und Selbsterkenntnis hat das Schreiben immer selbsttherapeutischen Charakter, ganz gleich, ob Tagebuchaufzeichnungen, Pro-/Kontra-Listen, Gedichte oder ganze Romane. Weil Schreiben sehr viel langsamer erfolgt als Denken, unterstützt es dabei, seine Gedanken (neu) zu ordnen und zu sortieren. Durch die Symbolhaftigkeit der Sprache tritt der Schreibende in einen intensiven Dialog mit seinem Unbewussten und „übersetzt“ mit seinem Text Erlebtes, Erinnerungen und Emotionen in seine eigene Sprache, bei der es kein „richtig“ oder „falsch“ gibt. Neben der Persönlichkeitsentwicklung und Selbsterfahrung trägt die Poesietherapie immer auch zur Förderung der Wahrnehmungs- und Erlebnisfähigkeit bei. Sie kann zur Stressprävention eingesetzt werden oder ihre heilende Wirkung bei chronischen Krankheiten wie z.B. Krebs oder Multiple Sklerose entfalten. Papier bietet einen Schutzraum für intime Gedanken, für Probehandlungen, geheime Sehnsüchte und sonst nicht zugelassene Denkweisen. Auf dem Papier lassen sich Verleugnungen durchbrechen und Wunsch-Welten erschaffen.

In jedem Menschen steckt schöpferisches Potenzial

Die durch den kreativen
Akt geförderte Kooperation der linken, rationalen mit der rechten, emotionalen Hemisphäre steigert die Nutzung der Gehirnkapazität, wobei die Verbindung der beiden Hemisphären in der Poesietherapie, wie in der klassischen Psychoanalyse, durch freie Assoziation angeregt wird. Probleme und neue Lösungsansätze lassen sich schneller und einfacher finden, wenn sowohl die linke Hälfte, die Sequenzen und logische Reihen erstellt, als auch die rechte, die unter dem Aspekt der Verbundenheit von Dingen und Ereignissen arbeitet, gleichzeitig aktiviert werden. Das schafft Raum für neue Denkmuster und mögliche Lösungsansätze. Bei meiner praktischen Arbeit mit der Poesietherapie lade ich meine Klienten in Einzelsitzungen oder in der Gruppenarbeit zum Dialog mit sich selbst ein. Dabei wähle ich verschiedene Formen des Schreibens, wie z.B. das freie Schreiben: Ausgehend von Schlüsselwörtern assoziiert der Klient in einem kurzen Brainstorming, was ihm dazu einfällt; aufsteigende Gedanken und Gefühle, scheinbar Sinnloses – alles ist erlaubt. Schließlich kommt man zu einem Thema, einer Begebenheit, einer Erinnerung, über die man schreiben möchte. Beim autobiografischen Schreiben sucht der Klient gezielt nach dem roten Faden in seiner Lebensgeschichte und ergründet, warum er geworden ist, wie er ist. Beim meditativen Schreiben vollziehe ich mit den Klienten zunächst einige Übungen aus der Achtsamkeitsmeditation mit dem Ziel der Besinnung und Schärfung seiner Wahrnehmung.

Sprache ist sinnlich, haptisch, rhythmisch, sie aktiviert Körper, Geist und Seele

Der entstandene Text kann als Einstieg ins therapeutische Gespräch genutzt werden. Anhand der Zeilen kann gezielt nach Lebensgrundsätzen und gelernten Glaubenssätzen geforscht, Symbole können gedeutet werden. Liest der Klient seinen eigenen Text, gewinnt er oft Distanz zum Geschriebenen und damit zu den eigenen Gefühlen und Gedanken, wodurch sich neue Sichtweisen ergeben. Sprache ist sinnlich, haptisch, rhythmisch. Sie aktiviert Körper, Geist und Seele, kann helfen, sich selbst zu verstehen. Eine andere Herangehensweise findet sich in der Methode der Bibliotherapie. Hier wählt der Therapeut eine bestimmte Lektüre zur Behandlung des Klienten aus. Hierzu eignen sich (fast immer) Märchen. Sie verdichten jahrhundertealte Erfahrungen, behandeln existenzielle Themen wie Angst, Loslösung, Sehnsucht und vermitteln universelle Botschaften. In den Märchen gibt es ein klares Gut und ein klares Böse. Das ist besonders für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sehr hilfreich. Für die Kleinen ebenso wie für Erwachsene können Märchen als Medium zum besseren Verständnis der Welt und von sich selbst genutzt werden. Die kreative Arbeit mit der Sprache hat mich als Journalistin und Werbetexterin stets auf meinem Weg begleitet. Mit der Poesietherapie habe ich eine Methode gefunden, die perfekt auf mich zugeschnitten ist, denn als Heilpraktikerin für Psychotherapie kann ich nun auch den helfenden Aspekt des geschriebenen Wortes in meine therapeutische Arbeit einbinden und Menschen dabei unterstützen, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden und ihrer Seele eine Sprache zu geben.

 

 

Ela Windels
Heilpraktikerin für Psychotherapie

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